Justitia in Zeiten von Corona

Die Corona Krise hat den bekannten Alltag mit einer Vollbremsung zum Stillstand gebracht. Eine Vielzahl von elementaren Grundrechten wurden von heute auf morgen radikal eingeschränkt, angefangen von der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), über das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Grundgesetz), der Religionsfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Grundgesetz) bis hin zum Eigentumsrecht (Artikel 14 Grundgesetz) welches auch das Recht zur Ausübung eines Gewerbes wie einem Ladengeschäft schützt.

All diese Grundrechte wurden mit den Allgemeinverfügungen der Bundesländer auf Grundlage des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) radikal eingeschränkt. In Anbetracht dieser enormen Beschneidung der elementaren Freiheitsrechte der Bürger ist es erstaunlich ruhig an den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten. Doch je länger der Shutdown andauert, desto lauter werden die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnungen.

Innerhalb der Datenbank juris, in der auf Grund der engen Zusammenarbeit der Gerichte mit juris auch kurzfristig Entscheidungen eingestellt werden, sind zum 9.4.2020 circa 40 Entscheidungen, angefangen von den Verwaltungsgerichten über einige Oberverwaltungssgerichte und Landesverfassungsgerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht enthalten.

Interessanterweise beschäftigen sich mehrere Verfahren vor den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten dabei mit dem Verbot der Nutzung einer Zweit- oder Ferienwohnung durch die Eigentümer (siehe etwa OVG des Landes Schleswig-Holsteins, Beschluss vom 3.4.2020, AZ: 3 MB 11/2020; Beschluss des OVG des Landes Brandenburg vom 3.4.2020, AZ: 11 S 14/2020), während Verfügungsverfahren von Gewerbetreibenden eher die Ausnahme darstellen(siehe etwa Beschluss des Bayrischen Verwaltungsgerichtshof vom 30.3.2020, AZ: 20 CS 20.611).

Das Bundesverfassungsgericht hat nun über einen Antrag im Rahmen einer einstweiligen Anordnung entschieden (siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.4.2020 AZ: 1 BvR 755/20) . Interessanterweise hat das Bundesverfassungsgericht den Antrag zur Entscheidung angenommen, obwohl der Rechtsweg NICHT ausgeschöpft war, was normalerweise eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Verfasssungsbeschwerde ist.

Das Verfassungsgericht hat auch einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers durch die bayrische Allgemeinverfügung angenommen. Allerdings ist das Bundesverfasssungsgericht bei seiner Entscheidung nicht auf eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter eingegangen, sondern hat im Rahmen der Prüfung lediglich eine Folgenabschätzung vorgenommen. Im Rahmen dieser Folgeabschätzung ist das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss gekommen, dass der Grundrechtseingriff für den Beschwerdeführer angesichts der Bedrohung für Leib und Leben der übrigen Bevölkerung hinnehmbar sei, insbesondere da die Allgemeinverfügung zeitlich beschränkt sei.

Diese argumentative Leitlinie findet sich auch bei den Entscheidungen der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte. Eine genaue Prüfung der Ermächtigungsgrundlage erfolgt in allen Verfahren eher weniger, was aber auf Grund der Eilverfahren auch nicht vorgeschrieben ist. Wobei gerade die Ermächtigungsgrundlage des IfSG durchaus umstritten ist. Diesen Streit konnte das Bundesverfassungsgericht aber durch die Folgenabschätzung umgehen.

Es ist davon auszugehen, dass nach dieser Bundesverfassungsgerichtsentscheidung auch die Verwaltungsgerichte auf der bisher eingeschlagenen Linie bleiben.

Noch.

Sollten die Allgemeinverfügungen der Länder aber noch bis in den Mai hinein andauern, kann ich mir gut vorstellen, dass der ein oder andere Vorsitzende eines Verwaltungsgerichtes auf Grund der langen Dauer der Eingriffe in die Grundrechte zu einer anderen Meinung kommen könnte.

Die Politik wird daher auch durch die Entscheidungen der Gerichte unter Druck gesetzt, einen Weg aus dem Shut-Down zu finden.

Corona und die Justiz